Pattaya - eine Stadt muss sich neu erfinden
- Ye-Soon und Horst
- 23. Juli 2020
- 4 Min. Lesezeit

Wir haben es nach einem halben Jahr zum ersten Mal geschafft, innerhalb Thailands eine andere Ecke zu bereisen. Pattaya liegt im Golf von Thailand quasi schräg gegenüber von Hua Hin - nur auf der anderen Seite. Mit dem Auto haben wir 4 1/2 Stunden gebraucht. Wir waren ohne Erwartungen gefahren, da wir in erster Linie unseren Freund Adrian und seine Hunde-Auffangstation besuchen wollten. Umso eindrücklicher war dann, wie wir Pattaya - die Partyhochburg Asiens und die grösste Sündenmeile der Welt - erlebt haben.
Die weltweite Krise im Tourismus wegen der anhaltenden Reiseverbote macht sich schon bei der Zimmerbuchung im Internet sehr deutlich bemerkbar. Zum sonstigen Preis eines Doppelzimmers in einem Mittelklasse-Hotel bekommt man derzeit eine Top-Suite mit Meerblick in einem 5-Sterne-Haus.

Das Tourismus-Ministerium in Bangkok hat finanzielle Anreize für Thais geschaffen, um in dieser krisengeschüttelten Zeit trotzdem die Touristen-Hochburgen und Hotels am Leben zu erhalten. Die Thais selber also sollen es nun richten und zu stark reduzierten Preisen und mit Ferien-Handgeld vom Staat die Betten füllen. Eine Rechnung, die offensichtlich nicht aufgeht. Wir waren vier Tage lang quasi allein im Hotel und hatten die riesige Anlage nur mit einer Handvoll anderer Feriengäste und reichlich unterfordertem Personal geteilt. Da kommen sehr gemischte Gefühle auf, und die Frage nach dem "wie lange geht das noch gut?" drängt ständig nach oben. Dazu kommt das mulmige Gefühl, etwas grundverkehrtes zu tun, indem wir diese Situation gerade zu unseren Gunsten ausnutzen. Aber auch die Angestellten wollen essen, und wir haben in Hua Hin zu Genüge gesehen, wie die Geldquellen versiegen und Menschen ums tägliche Brot kämpfen müssen. Also sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir den Aufenthalt trotz allem geniessen und wissen, dass wir damit einen kleinen Beitrag leisten können.
Die Auslastung der Hotels in Pattaya geht während der Woche runter auf 4-15 Prozent, während an den Wochenenden die Bangkoker Juppies und Familien gerne in Pattaya absteigen. Zwischen Ballermann-Feeling, Walking Street und Familienstrand gibt es hier absolut alles.
Das ehemalige Fischerdorf Pattaya wurde erst in den 70er Jahren als US Marinestützpunkt und Luftwaffenbasis im Vietnamkrieg bekannt. Es galt zu dieser Zeit als Erholungsort für Frontsoldaten und hatte nur ein einziges Hotel, das von der US-Marine für die GIs betrieben wurde. Mit den GIs kamen die Mädchen und der Alkohol nach Pattaya, der Rest ist schnell zusammengereimt: Die Amis gingen, Mädchen und Alkohol blieben. Das nicht gerade gute Image als Feriendestination ist dieser Entwicklung geschuldet. Inzwischen leben in und um Pattaya über 800.000 gemeldete Einwohner.
Wenn man von Bangkok aus nach Pattaya hinein fährt, meint man, wieder in Bangkok zu sein! Mehr als 12 Millionen Touristen lockte Pattaya vor dem Lockdown pro Jahr an. Ein riesiges, darauf aufgebautes Business bricht nun nach 6 Monaten Stillstand in sich zusammen wie ein Kartenhaus im Orkan. Jeder zweite Laden an der Promenade ist aufgegeben, beliebte Märkte existieren nur noch pro forma mit einigen wenigen Ständen. Freizeitparks, Zoos und sonstige Belustigungstempel sind von den satt gewordenen Investoren abgeschrieben und verkommen jetzt zu Ruinen des vergangenen Wohlstandes. Der Strand ist gähnend leer, die Bratspiess- und Früchteverkäufer haben die Leere in ihren Augen und innerlich längst aufgegeben. Man sieht gegen abend ganze Gruppen an älteren Frauen mit kleinen Kindern ihre Decken am Strand ausbreiten und schlafen. Die arbeitslosen Mütter versuchen, sich an die wenigen Touristen zu verkaufen, die auf der Promenade schlendern. Die berühmt-berüchtigte Walking Street mit unzähligen Bars, Vergnügungseinrichtungen, Discos und zigtausend willigen Mädchen in den Zeiten vor Corona gleicht jetzt eher einer Geisterbahn. Abends um 22 Uhr sind nur eine Handvoll Etablissements geöffnet. Es stinkt, alles dümpelt im Halbdunkel vor sich hin. In den wenigen offenen Läden sitzen bei wummenden Techno-Bässen gelangweilte Bardamen und spielen mit ihren Handys. In einer Ecke sitzen ein paar ebenso gelangweilte Auswanderer mit Bierbäuchen im Unterhemd und schauen Fussball auf dem Kneipen-TV. Wir gehen an einer offenen Bar vorbei, wo uns die Partygirls in Schul-Uniformen lebhaft und mit falschem Lachen zum Bleiben animieren wollen. Wir gehen vorbei und drei Schritte weiter ist wieder alles dunkel und still. Vor heruntergelassenen Stahlgittern sitzen von allen vergessene Menschen im Dunkel. Wir fühlen uns nicht mehr wohl hier, kehren nach den ersten hundert Metern wieder um und fahren sehr nachdenklich zurück ins Hotel.
Natürlich ist keine Hochsaison und der Lockdown wegen Corona lässt keine Touristen ins Land, aber nun werden all die im Wohlstand überdeckten Probleme der Stadt aus schillernden Zeiten schonungslos nach oben geschwemmt. Die früher nie gesehenen, die Randfiguren, sie spielen zunehmend die Hauptrollen - und es werden immer mehr. Das Lächeln der Stadt ist nurmehr die verzweifelte Fratze eines Monsters, das im Sterben liegt und nie mehr aufstehen wird.
Sicher kann man argumentieren, dass diese Entwicklung absehbar war und es nur eine Frage der Zeit war, bis es soweit kam. Andere winken ab und warten auf das grosse Wunder, wenn an Weihnachten die Bums-Bomber aus der ganzen Welt wieder Bierbäuche im Hawaii-Hemd nach Pattaya fliegen. Die Mädchen sind sicher schnell wieder da und das Geld auch. Auch wenn es so kommt - die Narben der Stadt werden bleiben und so schnell nicht heilen. Die ausschliessliche Abhängigkeit vom Tourismus ist eine böse Falle, und der Rahm ist längst abgeschöpft, die Gebäude und die Menschen grossteils aufgegeben und abgeschrieben. Wir schauen mit gemischten Gefühlen über den Golf und wünschen uns sehr, dass die Krise genutzt wird, sich neu aufzustellen und von Grund auf aus der Asche neu zu erstehen.
Nachtrag: Wir haben gehört, dass es die Bangkoker wegen der desolaten Zustände in Pattaya nun verstärkt herüber in unser beschauliches Hua Hin zieht. Die Wochenenden sind ausgebucht, die Stadt ist voller Menschen. Songkhran wird nachgeholt und am Montag wird Party gemacht.
Die Menschheit macht leider im Laufe der Geschichte alle grossen Fehler nicht nur einmal...
Comments